40 Millionen Menschen leben in Sklaverei und leiden beim Produzieren unserer Produkte. Aber was genau hat mein Konsumverhalten damit zu tun und wie versucht der deutsche Staat etwas an der Situation zu ändern? Ein Essay.
Die Website „Slavery Footprint“ existiert nur für einen Zweck: uns zu zeigen, wie viele Leibeigene wir besitzen. Man gibt beispielsweise an welche Nahrungsmittel man kauft, ob man ein Auto oder Schmuck besitzt und erhält aus diesen Daten eine Schätzung.
In meinem Fall sind es 32 Menschen, die nur für mich und meinen Lebensstandard arbeiten müssen. Die dafür sorgen, dass ich Kleidung, Kaffee, Schokolade und den Laptop habe, auf dem ich diesen Artikel schreibe. Diese Menschen sind Sklaven. Nicht weil sie in Ketten gehalten oder mit Peitschenhieben zur Arbeit gezwungen werden, sondern weil jeder andere Begriff das schönreden würde, was sie jeden Tag durchleiden. Sie werden in Abhängigkeitsverhältnisse gebracht, durch Schuldknechtschaft oder Erpressung und müssen unter menschenunwürdigen Bedingungen, ohne nennenswerten Lohn für ihre „Arbeitgeber*innen“, für deren Kunden und im Endeffekt auch für mich schuften.
Mein Konsumverhalten steht in direkter Verbindung mit den Menschenrechtsverletzungen, die andere begehen. Nicht weil ich mich bewusst dafür entscheide, sondern weil ich unbewusst konsumiere. Ich bin 23 Jahre alt und in anderen Teilen der Welt, arbeiten eineinhalb Millionen Kinder in der Kakao-, acht Millionen in der Textil- und zwei Millionen in der Bergbauindustrie. Für meine Schokolade, mein T-Shirt, mein Handy. Ohne diese Kinder würde vieles von dem, was ich besitze, nicht existieren.
Natürlich könnte ich jetzt nur noch Fairtrade Produkte kaufen, aber nur selten hilft das wirklich etwas. Nach einer Studie des Südwind Instituts kommt es auf indischen Baumwollplantagen, die Fairtrade geprüft sind, immer noch zur Kinderarbeit und zur Ausbeutung. Auch Fairtrade Produkte müssen sich daran orientieren, wie viel der Konsument bereit ist zu zahlen, weswegen der finanzielle Unterschied für die Bauern oft gering ist. Das Problem kann nicht durch ein Label und individuelle Kaufentscheidungen gelöst werden. Es ist ein strukturelles Problem.
Das erkannte auch die Bundesregierung und rief 2016 den „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ ins Leben. Deutsche Unternehmen wurden angehalten, ihre Lieferketten zu überprüfen und Menschenrechtsverletzungen weitgehend auszuschließen, was jedoch nicht gelang. Ein Monitoring im Auftrag des Auswärtigen Amtes aus dem Jahre 2020 ergab, dass nur 13 Prozent der untersuchten Unternehmen Schritte in die Wege geleitet haben, um die Situation in ihren Lieferketten zu verbessern. Freiwilligkeit scheint hier nicht zu funktionieren.
Seit Jahren versucht die Europäische Union ein Gesetz auf den Weg zu bringen das Unternehmen in die Pflicht nimmt ihre Lieferketten zu überblicken und die Menschenrechte bei der Produktion einzuhalten. Seit Jahren wird dieses Gesetz von deutscher Seite torpediert. Die Ampel-Regierung wollte sich in ihrem Koalitionsvertrag noch für ein „wirksames EU-Lieferkettengesetz einsetzen“, doch das scheint mittlerweile vergessen. Die Bundesregierung störte sich nach einer Recherche von Monitor besonders an einem Punkt. Der zivilrechtlichen Haftung der Unternehmen.
Diese würde es Betroffenen ermöglichen, Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen vor einem europäischen Gericht und nach europäischem Recht zu verklagen. Sie würde Unternehmen also direkt in die Verantwortung nehmen und es den Opfern ermöglichen, Schadensersatz für das Erlittene zu erhalten. Doch in der deutschen Adaption dieses Gesetztes fehlt genau dieser Teil.
Seit diesem Jahr ist das deutsche „Lieferkettengesetz“ in Kraft und ist ein Schritt in die richtige Richtung. Unternehmen mit 3000 Angestellten müssen bei ihren direkten Zulieferern eine Risikoanalyse erstellen. Sie müssen Präventionsmaßnahmen festlegen und eingreifen, wenn es zu Menschenrechtsverletzungen kommt. Sie müssen den Arbeitern ermöglichen, unkompliziert und anonym auf Missstände hinzuweisen und bei nicht Erfüllung der Auflagen bis zu zwei Prozent ihres Unternehmensumsatzes als Strafe zahlen.
Doch was fehlt, ist die „zivilrechtliche Haftung“. Unternehmen sind nach Meinung der Bundesregierung anscheinend nicht komplett verantwortlich für das, was in ihren Lieferketten geschieht. Besonders nicht, wenn es sich nicht um den direkten Zulieferer handelt. Sie müssen nach dem deutschen Gesetz nur die letzte Station ihrer Lieferkette überblicken und bei allen anderen erst dann handeln, wenn sie „substantiierte Kenntnis“ haben. Sie müssen also detailliert über Menschenrechtsverletzungen in ihrer Lieferkette informiert werden oder sie sind nicht verpflichtet zu handeln. Ab wann diese schwammige Formulierung greifen soll, weiß aktuell noch niemand. Die größten Probleme entstehen fast immer am Beginn einer Lieferkette. Bei den Uiguren in China, bei Steinbrüchen in Indien oder auf westafrikanischen Kakaoplantagen. Genau bei diesen Fällen sind Unternehmen nicht zwingend in der Handlungspflicht.
Das deutsche Gesetz ist ein Kompromiss und das hätte es nicht sein dürfen. Es steht exemplarisch für die immer gleiche Leier: „Menschenrechte ja, aber nicht auf unsere Kosten!“ Den Preis für meinen Wohlstand zahlen 32 Menschen mit ihrer Freiheit und ihrem Leben und das wird sich leider auch nicht so schnell ändern.